Vor nun fast 20 Jahren wurde mit der StVO-Novelle 1997 die allgemeine Radwegbenutzungspflicht abgeschafft. Was hat es den Radfahrenden gebracht und welche Probleme hat diese Änderung mit sich gebracht, Zeit ein Resümee zu ziehen. Ein Handtuch breiter rot angemalter Fußweg für Radfahrende, in etwa so könnte man den Regelradweg vor über 20 Jahren beschreiben. Zudem meist versteckt hinter parkenden Autos und im Kreuzungsbereich schwer einsehbar. Die die damals schon das Rad als das Verkehrsmittel Ihrer Wahl sahen machten mobil und kämpften erfolgreich für ihr Recht auf der Fahrbahn fahren zu dürfen, nicht mehr versteckt als Schattendasein, sondern als “echte” Verkehrsteilnehmer. Seit vielen Jahren steigt der Anteil der Radfahrenden kontinuierlich, vor allem in Großstädten. Radfahrende sind jedoch eine sehr heterogene Gruppe von Verkehrsteilnehmern, sind Kfz zumeist mit nur sehr geringen Geschwindigkeitsunterschieden unterwegs, so beträgt der Unterschied bei den Radfahrenden schnell auch das 3-fache. Was hat also die Aufhebung der allgemeinen Radwegbenutzungspflicht für diese höchst heterogene Gruppe gebracht? Der ADFC Berlin zog 2014 eine positive Bilanz es sei ein erfolgreiches Konzept, bei gut 1000 km Radweg sind nur noch ca. 100 km benutztungspflichtig, die Zahl der tödlichen habe man erheblich reduzieren können. Der ADFC NRW zitiert die BASt-Studie und kommt zu dem Ergebnis dass bei vorhanden sein einer Radverkehrsanlage ohne Benutzungspflicht gerade einmal 4% die Fahrbahn benutzen und etwa 2% trotz Benutzungspflicht. Demnach nutzt nur eine sehr kleine Gruppe unter den Radfahrenden die Möglichkeit auf der Fahrbahn zu fahren und kommt in den Genuss der propagierten Vorteile. Auch wenn die Studie der BASt nicht darauf eingeht, wer von den Radfahrenden die Fahrbahnnutzer sind fällt es nicht schwer diese einzugrenzen. Es sind zumeist die etwas schnelleren und viel fahrenden, die die sich schon damals gegen die Benutzungspflicht engagierten und die die es noch heute tun. Was jedoch auffällt ist eine Diskrepanz zwischen den Aussagen der ADFC Landesverbände, wenn auf Grund der Aufhebung der allgemeinen Benutzungspflicht der Anteil der Fahrbahnnutzer um nur 2 Prozentpunkte angestiegen ist, muss die Frage erlaubt sein wie daraus eine erhebliche Reduzierung von tödlichen Unfällen resultieren kann.
Natürlich ist in den fast 20 Jahren ohne allgemeine Radwegbenutzungspflicht die Entwicklung der Infrastruktur nicht stehen geblieben. Insbesondere neue geschaffene Radverkehrsanlagen zeichnen sich durch bessere Sichtverhältnisse aus, auch fallen diese meist deutlich breiter als vor 20 oder 30 Jahren aus. Radfurten in Kreuzungsbereichen verdeutlichen das mit Radfahrenden zu rechnen ist. Auch der Anteil des Radverkehrs am Gesamtverkehr, insbesondere in Großstädten, ist gestiegen. Es gilt je mehr Rad fahren desto sicherer ist das Rad fahren für den einzelnen, denn je öfter Radfahrende im Verkehr angetroffen werden desto mehr rechnen andere Verkehrsteilnehmer mit ihnen. Für die heute bessere Bilanz der Radverkehrsunfälle sind also viele Faktoren verantwortlich, die Aufhebung der Benutzungspflicht dürfte dabei jedoch eine untergeordnete Rolle spielen.
Trotz zahlreicher Verbesserungen der Infrastruktur gibt es sie noch die viel zu schmalen rot angemalten Gehwege, genannt Radweg, an denen der Zahn der Zeit nagt. Immer wieder ärgern sich Radfahrende dass diese Radwege nicht modernisiert oder gar instand gehalten werden. Genau hier kommt die die Gesetzesnovelle von 1997 zum tragen, denn zumeist sind diese schmalen und verwahrlosten Radwege nicht mehr benutzungspflichtig. Man kann also auf der Fahrbahn im Mischverkehr mit den Kfz fahren, dennoch machen die wenigsten von dieser Möglichkeit gebrauch. Die zuständigen Verwaltungen stehen nun in dem Dilemma, dass Verkehrsanlagen und Verkehrszeichen nur bei entsprechendem Bedarf angeordnet bzw. geschaffen werden dürfen. Insbesondere das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes 2011 legte dies Messlatte für die Benutzungspflicht noch einmal höher, diese anzuordnen setzt voraus, dass die Benutzung der Fahrbahn das allgemeine Risiko der Verkehrsteilnahme deutlich übersteigt. Das Urteil bezieht sich zwar auf die Benutzungspflicht dennoch hat es Auswirkungen auf den Bau von Radwegen. Wie soll denn eine Verwaltung die ja auch zu sparen angehalten ist die Instandhaltung oder den Ausbau von Radwegen begründen, wenn eine Prüfung ergibt, das die Benutzung der Fahrbahn das Allgemeinrisiko nicht deutlich übersteigt. Im Ergebnis verwahrlosen nach und nach Radwege bis diese verschwinden und wenn überhaupt durch billigere Schutzstreifen ersetzt werden, die dann mit Vorliebe aber verbotener Weise von Kfz zum kurzen parken oder Be- und Entladen genutzt werden.
Die Verlierer der nun geltenden Regelung zur Benutzungspflicht von Radverkehrsanlagen sind die vielen Radfahrenden da draußen, die sich bessere und geschütze Radwege wünschen. Auf der Gewinnerseite stehen eine paar wenige Radfahrer die dann täglich den Kampf auf der Fahrbahn mit den Kfz austragen. Ein Schritt zurück zur allgemeinen Benutzungspflicht wäre dennoch nicht förderlich, würde es doch den Verwaltungen wieder die Möglichkeit geben völlig unzureichende Radwege zu schaffen, die dann alle benutzen müsste. Der bessere Weg wäre es noch einen Schritt weiter zugehen und die Benutzungspflicht ganz aufzuheben und damit auch den Bau von Radwegen von der Risikobewertung der Verkehrsteilnahme zu trennen. So könnten Radwege instand gehalten oder auch geschaffen werden ohne nachweisen zu müssen, dass ein erhebliches Risiko beim befahren der Fahrbahn bestünde. Darüber hinaus würde auch die Qualität deutlich steigen, denn wenn der Verwaltung wirklich etwas daran liegt dass Radwege auch von den 4% Fahrbahnnutzern befahren werden, ist sicheres Rad fahren auch bei höheren Geschwindigkeiten, ausreichende Breite zum sicheren überholen unter Radfahrenden und sichere Gestaltung von Kreuzungen unumgänglich.
Zum Abschluss noch etwas in persönlicher Sache, ich selbst gehöre zwar zu den 4% die oft die Fahrbahn trotz vorhanden Radweges nutzen, nichtsdestotrotz bin ich es leid täglich den Kampf um diese Fläche mit den Kfz austragen zu müssen. Es wäre schön wenn Radwege endlich das Qualitätsniveau von Fahrbahnen erreichen und ein zügiges aber dennoch entspanntes Rad fahren ermöglichen würden.
May 4, 2016 at 13:13
Volle Zustimmung!
May 4, 2016 at 20:13
“Der bessere Weg wäre es noch einen Schritt weiter zugehen und die Benutzungspflicht ganz aufzuheben und damit auch den Bau von Radwegen von der Risikobewertung der Verkehrsteilnahme zu trennen.”
Grundsätzlich habe ich auch diesen Weg vor Augen: Nur noch nicht benutzungspflichtige Radwege.
Hier sehe ich für mich aber noch ein ungelöstes Problem: Auch Kinder und Jugendliche im Alter von 10-17 Jahren dürfen dann auf der Fahrbahn radeln – auch auf vierspurigen Hauptverkehrsstraßen. Das sehe ich kritisch. Möglicherweise liegt die Lösung hier in einer Gesetzesänderung, dass Fahrbahnradeln auf bestimmten Straßen nur ab 18 Jahren erlaubt ist.
An sich ist das aber der richtige Weg, denn dann müssen die Radverkehrsanlagen ordentlich genug sein, damit Leute sie benutzen.
May 5, 2016 at 14:40
“Der bessere Weg wäre es noch einen Schritt weiter zugehen und die Benutzungspflicht ganz aufzuheben und damit auch den Bau von Radwegen von der Risikobewertung der Verkehrsteilnahme zu trennen. So könnten Radwege instand gehalten oder auch geschaffen werden ohne nachweisen zu müssen, dass ein erhebliches Risiko beim befahren der Fahrbahn bestünde.”
Ich sehe den Fortschritt nicht. Die theoretische Möglichkeit, nicht benutzungspflichtige Radwege instand zu halten oder zu schaffen besteht doch schon – das können die Kommunen FREIWILLIG machen. Machen sie aber meistens nicht – und dürfen sie praktisch auch nicht, wg. Haushaltsrecht, denn das Geld reicht oft gerade mal für die Pflichtausgaben.
Was fehlt, das ist das RECHT der Radfahrer auf – und damit die PFLICHT der Kommunen zu – einer angemessen geschützten Radinfra, die beide mit der Aufhebung der B.-Pflicht en passant verloren gegangen sind.
Was gebraucht wird, das ist eine Klassifizierung der Stadtstraßen nach Kfz-Verkehrsstärke unter Berücksichtigung des Schwerlastverkehrs, nach Höchstgeschwindigkeit, nach Straßenbreite, nach Art und Zusammensetzung des Radverkehrs (z.B. Schulweg), nach Funktion der Strecke im Radverkehrsnetz etc., um danach zu entscheiden ob und welche Radinfra nötig ist. Ist die u.a. nach den aufgezählten Kriterien nötig, dann müsste sie verpflichtend gebaut werden.
Entscheidend ist das definierte Recht auf Radinfra und daraus abgeleitet eine Baupflicht.
Ob diese Radinfra dann benutzungspflichtig ist oder nicht, das spielt de facto keine Rolle.
Höchstens bei der politischen Durchsetzbarkeit ..
May 6, 2016 at 10:38
“Die theoretische Möglichkeit, nicht benutzungspflichtige Radwege instand zu halten oder zu schaffen besteht doch schon – das können die Kommunen FREIWILLIG machen.”
Ja, aber eben nur theoretisch, aber die Kassen der Kommunen sind knapp. Nehmen wir mal die billige Lösung den Radfahrstreifen, dafür ist eine Überprüfung nach StVO §45 Abs. 9 Satz 1 und 2 notwendig. Fällt diese Überprüfungen negativ aus, sprich keine besondere Gefährdung bei Benutzung der Fahrbahn und damit keine Notwendigkeit der Einrichtung von Radfahrstreifen bleiben der Kommune kaum Argumente, einen viel teureren baulichen Radweg instand zu halten oder gar zu schaffen. Die theoretische Möglichkeit ist zumeist also praktisch ausgeschlossen.
Wenn dies entkoppelt wäre, also Radverkehrsanlagen geschaffen werden ohne überhaupt prüfen zu müssen ob eine besondere Gefährdung vorliegt wäre ein erster Schritt getan. Ein darüber hinaus definiertes grundsätzliches Recht auf Radverkehrsinfrastruktur, da stimme ich zu, würde das ganze noch stärken.
May 14, 2016 at 20:38
Danke, interessanter und durchdachter Artikel.
@Strizzi
Es ist immer wieder erschütternd, wie bizarr die Thesen werden, wenn Verkehr nur durch die enge Brille des Breiten-tauglichen Kurzstreckenradverkehrs gesehen wird.
Das war schon im letzten Jahrhundert ziemlich ‘gestern’.
Was käme denn dabei heraus, wenn der Vorschlag von ‘Vorstadt-strizzi’ sich durchsetzt (bzw. weiterhin praktiziert wird)?
Überall da wo Radfahrer stören könnten (Auto-attraktive Strecke mit hoher DTV), werden sie unabhängig von jeglicher Gefährdungsanalyse auf die Nebenanlagen verbannt. Klar könnte man die miesen Nebenanlagen auf verkehrlich wichtigen Strecken auf das Niveau einer realistischen Befahrbarkeit attraktivieren. Wo man das macht (NL) wird das i.d.R. benutzt, und es geht in Folge zwar der Autostau zurück, nicht aber der Autoverkehr (Verkehrsleistung) !!!
Wo ohnehin kaum jemand fahren will darf dann der Radverkehr auf die Fahrbahn (NL-System)?
Die derzeit vor allem von privaten PR-Agenturen massiv gehypten Separationsplanungen in NL und DK haben leider einen entscheidenden Makel. In diesen Ländern steigt trotz der ‘best-practice’ Radinfrastruktur die Verkehrsleistung des MIV jedes Jahr aufs neue unvermindert an.
Schreibt nur keiner. Will grad auch keiner hören.
Das war schon im 20. Jhd. erkennbar falsch.
Ins 21 Jhd. mit bereits steigenden Meeresspiegeln, Co2-Erhöhung, Rohstoffkriegen, künftigen Klimawandelfolgen mit mehreren hundert Millionen verzweifelt Flüchtenden, etc, etc. , passt diese Art der autogerechten Radverkehrsförderung nicht mehr rein. Oder sollte zumindest nicht mehr reinpassen.
Benötigt wird m.E. nicht das ökologisch gescheiterte NL-Modell einer an MIV-Verflüssigung ausgerichteten Stau-reduzierenden Radverkehrsförderung, sondern eine ökologische (und soziale) Verkehrswende. Natürlich müssen dabei auch die Bedingungen für Rad- Fuss- ÖPNV-Verkehr deutlich verbessert werden. Das wäre vielleicht der einzig sinnvolle Grund für eine Benutzungspflicht: Fahrplanintegrität und Reise(ketten)zeit des ÖPNV verbessern. Aber doch keinesfalls gleichberechtigt zum Automobil, sondern mit der klaren Zielsetzung der längst überfälligen Eindämmung des komplett aus dem Ruder gelaufenen Autoverkehrs.
Strizzis Vorschlag geht strikt in die andere Richtung. (Vielleicht mal mit den Stichworten Reisezeit, Raumwiderstand, Reisezeitbudget und dergleichen beschäftigen???)
Natürlich baucht es AUCH separierte (von wem und warum separiert?) und vor allem fehlertolerante Verkehrswege für den Radverkehr und den langsamen Radverkehr (Schulwege, etc, etc, etc.), aber Ziel sollte es m.E. sein das Verkehrsnetz für die sichere, komfortable und ausreichend zügige Nutzung der Verkehrsmittel des Umweltverbundes umzubauen, statt tumb den Autoverkehr durch ‘mehr Radfahrer’ flüssig zu machen oder zu halten, damit der MIV noch weitere Distanzen in gegebener Reisezeit bewältigen kann.
Reurbanisierung und Neo-Suburbanisierung sind ja kein Widerspruch, sondern ein Siamesischer Zweilling mit der Folge gentrifizierter hochpreisiger Kerne (Kurzstreckenradverkehr als Lifestyle) und erneut verschärft zersiedeltem Umland in der Peripherie der Metropolregionen, nebst ghettoisierter Armutsquartiere (Banlieu, etc.)
Zu klären wäre also zwingend, wie sich Fragen der Verkehrsführung/Infrastruktur gesamtverkehrlich einfügen in ein wirksames Push and Pull Verhältnis zwischen MIV und Umweltverbund. Sonst wird das nichts, und unsere Kinder, Enkel oder Urenkel können die tollen NL-bestpractice-Radwege nur noch mit Taucheranzügen besichtigen.
p.s.:
eine neue Form des baulichen Fahrbahnverbots ist neuerdings bei einigen Bundes- und Landesstrassen zu beobachten: Verengung der Fahrbahn (Umweltfreundlich, temporeduzierend, und so … ) mit der Folge dass es im Anschluss tatsächlich gefährlich geworden ist dort Rad zu fahren, da die Querschnitte beim Überholen von Radfahrenden bei Gegenverkehr keine Fehlertoleranz mehr aufweisen (sollen).
Daher werden auch Mofas und e-bikes künftig auf Radwege oder alternative Strecken (Radwegenetz) geschickt werden; halten ja eh nur den echten Verkehr auf.
Wie sich dann die ‘Kinder und Senioren’ mit den Mofas und 45 Kmh-e-bikes arrangieren? So what. Zur Not Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Radwegen wie in den hochgelobten USA. Die immer stärkere Verbreitung von Z.254 passt da genau ins Bild. Intention: Kastration des Radverkehrs auf Kurzstrecken – entgegen aller Sonntagsreden.
May 17, 2016 at 14:38
Hi, man muss nicht gleich zum Befürworter der Radwegebenutzungsflicht werden, aber die Schäden, die ihre “Abschaffung” angerichtet hat, sind auf kommunaler Ebene inzwischen überdeutlich und ich bin dir dankbar, dass du sie so gut zusammengefasst hast.
Köln zum Beispiel prüft seit ein paar Jahren seine Radwege daraufhin, ob sie noch gefährlich genug sind. Wo es nicht gefährlich genug ist, soll der Radweg verschwinden. 2012 fasste man das im jährlichen Maßnahmenbericht so zusammen:
“Derzeit gibt es in Köln rund 500 km bauliche Radwege. Nach dem Zielkonzept ist eine Trennung nur auf ungefähr 250 km des Straßennetzes […] erforderlich.”
Die Hälfte der Kölner Radwege soll also weg, so die Beschlusslage schon 2012. Kölns Verwaltung leitet das übrigens direkt aus der Straßenverkehrsordnung ab:
‘Die Straßenverkehrsordnung sieht vor, dass eine Radwegebenutzungspflicht und damit die formaljuristische Trennung von motorisiertem Verkehr und Radverkehr nur dann zulässig ist, „wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung (…) erheblich übersteigt“ (§45 Abs. 9).”‘
Gegen dieses Kürzungsprogramm hat sich nicht etwa Widerstand geregt, nein, der Abriss ging vielen Kölnern und dem Rat nicht mal schnell genug und wurde mit Petitionen und Ratsbeschlüssen befeuert. Putzig, dass die am lautesten auf die Stadt schimpfen, die genau dieselben Ziele verfolgen.
Eine ganz konkrete Folge des Kampfes gegen die Benutzungspflicht ist somit, dass keine neuen Radwege gebaut werden, solange es noch ungefährliche Radwege gibt, die man erst abbauen könnte. Ich denke, dass ähnliche Gedanken auch in anderen Kommunen gewälzt werden.
Dazu kommt ein zweiter Punkt: Als Hauptargument gegen die Benutzungspflicht muss immer wieder die Mär von der Gefährlichkeit des Radweges an sich herhalten. Hier liegt wirklich der Hund begraben: Während der Rest der Welt sich allmählich an die wissenschaftlichen Erkenntnisse gewöhnt, dass Radweg oder Separierung Radfahrer schützt und zugleich Menschen aufs Rad bringt, gilt der Radweg in Deutschland als Teufelswerk.
Da kann man noch so lang etwa die Forschung von Kay Teschke u.a. zitieren (http://cyclingincities.spph.ubc.ca/) und die niederländische Fahne schwenken, hierzulande vernebelt der Mischverkehr die Sicht.
May 21, 2016 at 17:40
@ Frank B.
Der Streit um die Ben.pflicht, das ist ziemlich deutlich, ist – industriepolitisch gesehen – ein Kampf um die Aufrechterhaltung des Kfz-Monopols auf die Verkehrsinfrastruktur. Diesen Streit hat es so ähnlich auch mit den großen Stromkonzernen gegeben, bis die Entflechtung Stromproduktion/-netz und der weitgehend diskriminationsfreie Netzzugang 2005 gesetzlich geregelt wurde.
Ein Unterschied ist, dass die Kfz-Industrie für Deutschland wirtschaftlich ungleich bedeutender als die Stromindustrie und damit politisch und medial wesentlich einflussreicher ist.
Was man landläufig VC nennt, das spielt eine untergeordnete (Alibi-) Rolle. Weder hatten die VC-Vertreter, etwa der ADFC, den Einfluss, die StVO zu ändern (dafür sind die Strategen der Kfz-Industrie zuständig), noch sind Sportradler oder risikobereite (jüngere) Männer überhaupt die (ideologische) Basis des VC.
Das zeigt sich im vergleichenden Blick auf die Stammländer des VC, nämlich USA und GB. Obwohl dort in ungleich höherem Ausmaß als hier bei uns die (organisierte) urbane Fahrradbewegung von sportlich radfahrenden Männern geprägt ist, ist dort von VC in fast spiegelbildlich viel geringerem Ausmaß die Rede. VC spielt dort in der organisierten Radpolitik trotz des viel höheren Anteils sportlich radfahrender Männer keine Rolle mehr.
Merke: So dumm und antisozial sind auch sporttreibende Männer nicht. 😉
Das Korrelativ zur Stärke der VC-Ideologie ist nicht der Anteil sporttreibender Männer, es ist der Einfluss der Kfz-Industrie. Stets mit großem Medienecho unterfüttert, wird die VC-Ideologie durch VC-empfehlende “Studien” zur “Radverkehrssicherheit” in den Markt gedrückt, zumeist aus verdeckt operierenden und scheinbar unabhängigen, in Wirklichkeit Kfz-industrienahen Organisationen wie UDV (100% Kfz-Versicherer finanziert) oder dem Bundesministerium Verkehr (BASt).
Bei (schon nur relativer) Schwäche der Kfz-Industrie ist das VC schnell verschwunden, siehe USA und GB. In beiden Ländern war nach jahrzehntelanger ideologisch/gesetzlich/städtebaulich abgesicherter Vorherrschaft das VC zeitgleich mit dem Niedergang der Kfz-Industrie ganz plötzlich am Ende.
Das gibt mir begründete Hoffnung für ein Ende dieses dummen B-Pflicht-Themas.
Das gibt mir auch Hoffnung auf einen guten Erfolg des Radentscheids. Der Radentscheid – explizit nicht VC und ich glaube nicht an solche Zufälle – fällt zeitlich mit der ersten Schwäche der Kfz-Industrie (Dieselgate) zusammen.
In den Zeiten von Klimawandel und disruptiver Wirtschaftentwicklung ist diese erste Schwäche von strategischer Natur, d.h. existenzbedrohend.
They lose their grip.
Gute Zeiten, um VC abzuschütteln und gute Zeiten, um einen Radentscheid durchzusetzen.
May 26, 2016 at 14:07
@Alfons Krückmann
Ein Zusammenhang zwischen Radverkehrsanlagen und ansteigendem MIV tritt vielleicht auf, wenn RVA zu Lasten der Fußgänger angelegt werden. Aber wenn ein Fahrstreifen in eine Radfahrstreifen überführt wird, sieht es anders aus. Also einzelfallabhängig.
@evanvosberg
Ich wüsste nicht, warum §45 nicht b-pflichte Radwege verbieten sollte. Es geht um Verkehrszeichen und -einrichtungen, nicht um Radwege. Schutzstreifen sind sowieso vom §45 ausgenommen, Radfahrstreifen zwar nicht, aber wer weiß das schon?
Darum ist die Argumentation, dass man so zu besseren Radwegen kommt, lückenhaft.
Dass Radwege doch sicherer sind als Fahrbahnen, glaube ich nicht. Die Probleme liegen an den Kreuzungen. Am Besten 2m Radfahrstreifen mit 50cm Sicherheitstrennstreifen. Da kann jeder zügig, komfortabel, mit ausreichendem Überholabstand und im Sichtbereich der abbiegenden Kfz fahren und andere Radfahrer überholen.
Auch in Bezug auf den einbiegenden Verkehr aus Seitenstraßen ist das gut, denn vor dem Radstreifen können sowohl Radfahrer als auch Kfz mit einem Blick eingesehen werden. Auf abgesetzten Radwegen liegen die Konfliktpunkte auseinander, sodass Einbieger dann zweimal schauen müssten, aber natürlich nur nach Kfz schauen und den ersten Konfliktpunkt vernachlässigen.
Vor Ampelkreuzungen dann noch Veloweichen oder Qualifizierte Rechtsabbiegestreifen, sodass Rechtsabbieger durch den Fahrstreifenwechsel das Absichern nach Radfahrern nicht vergessen können.
Außerhalb von Kreuzungen oder Zufahrten kann man dann Radwege anlegen, aber Radstreifen sind auch preislich und wartungsmäßig hervorragend. Aber breit genug sollten sie sein!
May 26, 2016 at 14:21
Der §45 verbietet nicht benutzungspflichtige Radwege nicht, er hat aber eine indirekte Wirkung. Wenn ein Radweg oder Radfahrstreifen geschaffen werden soll wird eine Prüfung nach §45 vorgenommen, wenn sich dabei herausstellt dass die Voraussetzungen für eine Benutzungspflicht nicht gegeben sind fällt der Radfahrstreifen schon weg, denn den gibt es formal nur mit Zeichen 237 und ist somit benutzungspflichtig, auch der benutzungspflichtige Radweg kommt dann nicht in Frage. Wenn die Voraussetzungen nicht vorliegen ist auch klar, dass bei der Nutzung der Fahrbahn kein erheblich höheres Risiko ausgeht als von der allgemeinen Teilnahme am Straßen verkehr. Nun wenn dieses Risiko nicht gegeben ist fehlen schnell auch die Argumente für nicht benutzungspflichtige Radwege oder Schutzstreifen.
May 26, 2016 at 14:26
Im übrigen sind nur die Schutzstreifen nicht aber die Radfahrstreifen ausgenommen und dies auch nur bezüglich der Beschränkung des fliesenden Verkehrs, nicht aber von der Anordnung von Verkehrszeichen. Auch der Leitlinie und Trennlinie sind Verkehrszeichen im Sinne der StVO. Darüber hinaus sind Schutzstreifen in ihrer Breite begrenzt, weil sie Teil der Fahrbahn sin, im Gegensatz zum Radfahrstreifen der ein von der Fahrbahn abgetrennten Teil der Straße ist.
May 26, 2016 at 14:30
Bezüglich Radfahrstreifen geradeaus in Verbindung mit Qualifizierte Rechtsabbiegestreifen empfehle ich sich am Morgen in der Rush Hour mal an den Alexanderplatz (Berlin) zu stellen. Im Schnitt kommen 90% der Radfahrenden auf dem Gehweg rechtsabbiegend um die Ecke geschossen und pro Grünphase gibt es mindestens 2 Kfz die aus zweiter Reihe über die Radfurt hinweg abbiegen. So toll wie die Lösung theoretisch auch klingen mag, die Realität vor Ort sieht dann doch ganz anders aus.
May 29, 2016 at 15:50
Wie schon im Radspannerei-blog diskutiert:
Auch und gerade bei Spurreduktion des Autoverkehrs verbessert sich die Reisezeit für den MIV im Regelfall, wenn der Radverkehr separiert geführt wird.
Schon sehr wenige Fahrbahn-Radler führen zu deutlichen Reisezeiterhöhungen (=Verringerung des Erreichbarkeitsradius) für den MIV.
Deutsch-sprachiger Artikel zu entspr. Empirie:
http://www.zukunft-mobilitaet.net/126068/analyse/wirkung-radfahrstreifen-radweg-schutzstreifen-geschwindigkeit-pkw-fahrzeit-miv/
Kaum dass dieser Zusammenhang empirisch belegt war begann dann in D der verkehrspolitische Roll-Back und es geht seitdem “mehrheitsfähig” zurück zum separierten Radweg, wie er auch in den 30ern mal geplant war.
Der alles entscheidende Test war sozusagen mit Bravour bestanden:
” YEAAAH! DAS NUTZT AUCH DEM AUTOVERKEHR! ”
NL-Planungsbüros sind da i.d.R. ehrlicher; die sagen schon seit vielen Jahren, dass der Radwegebau auch dem Autoverkehr nutzt und diesen verflüssigt/beschleunigt/entstaut. Im letzten Jahrhundert wurde das positiv bewertet, ob das heute im Zeichen steigender Meeresspiegel noch sinnvoll ist … ???
Klar ist jedenfalls: in den Vorbild-Radwegeländern (NL. DK) steigt die Verkehrsleistung des MIV unverdrossen und stetig an.
Klar ist auch, dass das in der aktuellen Diskussion nicht gern gehört wird (bzw. von der “Fahrrad braucht Radweg – Fraktion” unter den Teppich geschoben wird), und dass das niemanden davon abhält auf Kurzstrecken das Fahrrad zu “fördern”, um im Effekt (zielgesetzt oder als Kollateralschaden) freiere Fahrbahnen für die beschleunigten MIV-Fahrten bei größeren Entfernungsbereichen zu erhalten.
Die MIV-Erreichbarkeitsradien steigen, die Rad-Erreichbarkeitsradien sinken und am Ende steht eine weitere Steigerung der MIV-Verkehrsleistung – verbunden mit Zersiedelung (Neo-Suburbanisierung) und verkehrsberuhigten ‘grünen’ Kernstädten für Besserverdienende, die die Gentrifizierungsmieten bezahlen können.
Mir scheint, dass bei der gegenwärtigen Richtung (zurück zum separierten Radweg und zum de-facto Fahrbahnverbot) erheblich mehr Probleme verschärft als gelöst werden – jedenfalls bei Betrachtung der Verkehr-Gesamtsituation.
Auch die Führungsetage des ADFC scheint diesen neuen Trend zur ‘Autogerechten Fahrradförderung’ mitzumachen, bzw. sogar noch zu forcieren.
Nun: die ‘Mitte’ unserer Automobilen Gesellschaft wird’s freuen.
May 29, 2016 at 16:17
Zunächst einmal geht es in dem Artikel darum was die Abschaffung der Benutzungspflicht für große Masse der Radfahrenden gebracht hat. Fazit fast nichts, denn es sind nur ein paar wenige die von der Möglichkeit gebrauch machen die Fahrbahn anstatt des Radweges zu nutzen. Darüber hinaus bin ich trotzdem der Meinung dass es keine Benutzungspflicht geben sollte, es aber dennoch ohne große Hürden möglich sein sollte Radverkehrsanlagen zu schaffen. Die Benutzung wäre dann immer noch jedem selbst überlassen.
Es ist für mich einfach nicht nachvollziehbar dass Radfahrende andere vom Radfahren abhalten wollen, nur weil sie selbst Radwege doof finden. Ich gestehe es jedem zu diese doof zu finden und dem entsprechend auch nicht zu nutzen. Ich gestehe aber auch jedem zu ein Infrastruktur zu fordern auf der er sich sicher fühlt.
Insbesondere hier in Berlin lebt man als Fahrbahnradler gefährlich, mehrmals pro Woche wird man viel zu dicht überholt, geschnitten oder gar vorsätzlich bedrängt und gefährdet von Kfz-Führenden. Das Überholmanöver des Autofahrers gestern, ohne jegliches Verständnis für Sicherheitsabstände, endete für mich dann im Krankenhaus …
Echt toll dieses sichere, da wird man ja besser gesehen, Fahrbahnradeln … wer es mag soll’s dies tun aber bitte nicht den anderen aufzwingen, ich will auch niemandem die Benutzung des Radweg aufzwingen.
May 26, 2016 at 14:58
Mag sein, dass ich da nicht vollständig informiert bin, aber ich kenne keinerlei Regelung (Gesetz (VwV), die einer vollständigen / vollumfänglichen Instandhaltungspflicht bei nicht benutzungspflichtigen RVA entgegenstehen.
WO steht, dass nicht-benutzungspflichtige RVA ein schlechteres Instandhaltungsniveau haben dürfen, als benutzungspflichtige?
May 26, 2016 at 15:23
Das steht so natürlich nirgends festgeschrieben, es eher der Fall dass ein ein früher benutzungspflichtiger Radweg nun nicht mehr benutzungspflichtig ist und die Verwaltung damit den Radweg an sich als unnötig ansieht. Daraus resultiert, dass dieser nicht mehr Instand gehalten wird er kann eben noch solange benutzt werde wie er befahrbar ist. Aus Sicht der Verwaltung wird der Radweg langfristig verschwinden, warum sollten sie also noch in die Instandhaltung investieren. Mit etwas Glück wird es später mal einen Schutzstreifen oder eben auch einfach nichts geben.
May 29, 2016 at 16:27
O.K. das kann ich nachvollziehen.
Möglicherweise gibt es da aber auch regionale Unterschiede. In NW kann ich das so nicht unbedingt feststellen. Die benutzungspflichtigen Wege verlottern oft genauso wie die wenigen nicht-benutzungspflichtigen.
Im Münsteraner Umland tritt seit einiger Zeit die Schilderkombination “Benutzungspflicht + Vorsicht Radwegschäden” als siamesischer Zwilling auf, während an anderen Stellen nicht benutzungspflichtige Wege in gutem Zustand sind (mag auch am Alter liegen).
Festzuhalten bleibt aber doch, dass gesetzlich exakt die gleichen Instandhaltungspflichten bestehen – völlig egal ob benutzungpflichtig oder nicht benutzungspflichtig, völlig egal welcher Baulastträger.
Mit Deinem Vorschlag der gänzlichen Streichung von Benutzungpflichten allerdings löst sich – da stimme ich völlig zu – das Problem sachgerecht auf.
Die Verweigerung von Politik und Verwaltung gegenüber einer anzustrebenden dualen Infrastruktur ist ein wesentliches Hindernis für eine umweltgerechte Radverkehrsförderung, die – im Ggs. zu NL dann auch Chancen hätte das weitere MIV-Wachstum einzudämmen.
Ein Aspekt wäre dabei noch in den Blick zu nehmen: den Planern ist sehr wohl bewußt, dass eine Aufhebung der Benutzungspflicht in der Regel eine veränderte LSA-schaltung zwingend erfordern würde (veränderte Räumzeiten).
Hierdurch würde dann die ultimative Todsünde eintreten:
Verringerung der MIV-Kapazität und Verschlechterung der MIV-Reisezeiten.
Das macht das Brett so dick, welches es zu durchbohren gilt.
May 26, 2016 at 18:30
Eine Radverkehrsanlage wird in der ERA ab bestimmten DTV-Grenzen empfohlen und die B-Pflicht hat eine wesentlich höhere Hürde. Die Aufhebung der B-Pflicht ist aber schon durch den entfallenden Beschilderungskram (Gem. Radweg, Zweirichtungsr.) zu begrüßen.
Bei den Radfahrstreifen ist es so nach dem Motto: Wo kein Kläger, da kein Richter. Und bei den Schutzstreifen ist es schade, dass sie nicht unter §45 fallen, denn wer will 1,5m Streifchen in der Dooring-Zone. So wie es gute und schlechte Radwege gibt, ist es auch mit den Streifen.
Ansonsten verbietet auch Niemand 2m breite Schutzstreifen anzulegen. So ist auch die Argumentation der Radwegefreunde, die aufgrund Gefährdungsstreifchen Superradwege propagieren, unvollständig. Ein Radweg hinter Parkplätzen mit unschönen Überraschungen an Kreuzungen mit abgesetzten Furten soll dann sicherer und mehr Stand der Technik sein, als ein Radstreifen in gleicher Breite.
An Ampelkreuzungen ist aber das Problem bei allen Furtabsetzungen, dass beim Rechtsabbiegen das Absichern nach Radfahrern vergessen, weil es nicht selbsterklärend ist, dass, obwohl man sich rechts eingeordnet hat, noch Radfahrer rechts von einem geradeaus fahren wollen. Aber auf einer Veloweiche oder einem Qualifizierten sortieren sich Alle nach den Fahrtrichtungen richtig ein. Zweistreifiges Rechtsabbiegen gibt es dann nicht. Ich gehe davon aus, dass die Qualifizierten bald in die ERA kommen, diese Protected Intersection aber nicht, denn wer will abgesetzte Furten, die beim Rechtsabbiegen plötzlich aus dem nichts auftauchen und zudem im Toten Winkel liegen?
Bild:
http://www.fotos-hochladen.net/uploads/qureau180lgx4y.jpg
May 29, 2016 at 16:30
“Ansonsten verbietet auch Niemand 2m breite Schutzstreifen anzulegen.”
Seit wann ist das so?
Ich habe in Erinnerung, dass eine Maximalbreite von 1,60 vorgeschrieben ist, wobei Gosse und Markierung mitgerechnet werden.